Der Drache im Feuer – Ekōin und die Goma-Zeremonie

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An einem frühen Morgen in Kōyasan durften wir im Ekōin-Tempel der Goma-Feuerzeremonie (護摩法要) beiwohnen – einem Ritual, das zu den eindrucksvollsten spirituellen Praktiken des esoterischen Buddhismus zählt.
Im Dämmerlicht der Tempelhalle entzündete ein Mönch das heilige Feuer, dessen Flammen im Rhythmus der Sutren aufloderten und den Raum mit Rauch, Klang und Energie erfüllten.
Während der Rezitationen verwandelte sich das Feuer in ein lebendiges Symbol des Wandels – ein Tor zwischen den Welten, in dem das Sichtbare zur Sprache des Unsichtbaren wird.

Der Drache im Feuer

Im esoterischen Buddhismus – insbesondere in den Schulen Shingon und Tendai – ist der Drache (Ryū 龍) ein Wesen des Wassers und der Wolken.
Er bringt Regen, Fruchtbarkeit und Erkenntnis, steht aber zugleich für die Wandlungskraft des Feuers.
Er ist das Sinnbild der Energie in Bewegung, der Formlosigkeit der Erkenntnis, die sich in den Elementen manifestiert.

In der Goma-Zeremonie, in der das Feuer als Ausdruck der Weisheit Dainichis (Mahāvairocana) gilt, entsteht ein paradoxes Zusammenspiel:

Der Drache (Wasser) erscheint im Feuer (Weisheit) – die Vereinigung der Gegensätze, die Aufhebung der Dualität.

Wenn jemand in den Flammen den Drachen erkennt, wird das als Hinweis gedeutet, dass die Wahrnehmung über die sinnliche Ebene hinausreicht. Man sieht nicht mehr nur das Feuer – sondern das Prinzip der Wandlung selbst.


Die Legende von Kūkai und dem Feuerdrachen

In alten Shingon-Schriften wird erzählt, dass Kūkai selbst einst auf Kōyasan während einer Goma-Zeremonie einen Drachen im Feuer sah. Er stieg spiralförmig aus den Flammen auf und verschwand im Rauch – ein Zeichen der Einheit von Himmel, Erde und Bewusstsein.

Auch im Ekōin wird diese Erfahrung bis heute gelegentlich berichtet. Manche sehen in einem kurzen Auflodern oder einer besonderen Bewegung der Flamme die Gestalt eines Drachenkopfes, andere sprechen von einem „sich drehenden Feuerwesen“.
Die Mönche deuten dies nicht als Einbildung, sondern als Moment der Synchronisation zwischen Geist und kosmischem Mandala – eine Manifestation des inneren Zustands im äußeren Element.

 

Symbolik und Bedeutung

Der „Feuerdrache“ steht für die Verwandlung des Geistes – das Aufsteigen des Bewusstseins durch die fünf Elemente:
Erde, Wasser, Feuer, Wind und Raum. Er symbolisiert die Kundalini-Energie, die vom Inneren zum Höchsten strebt, und ist im Shingon-Kontext Ausdruck des Bodhicitta, des erwachten Bewusstseins.

Wer im Feuer den Drachen erblickt, sieht – in der Sprache der Mandalas – das Aufsteigen der Form ins Formlose.

Im meditativen Verständnis bedeutet das: Man sieht nicht etwas im Feuer – man erkennt das Feuer selbst als lebendige, bewusste Energie. In diesem Moment fällt die Trennung zwischen Beobachter und Erscheinung.

 

„Ryū ga arawareta“ – Der Drache ist erschienen

Viele Pilger berichten, dass dieser Anblick – ob real, symbolisch oder visionär – eine tiefe innere Ruhe hinterlässt.
Nicht Erschrecken, sondern Erkenntnis: das Gefühl, dass das Feuer eine Antwort gegeben hat.
Wenn so ein Moment geschieht, sagen die Mönche leise:

„Ryū ga arawareta.“
Der Drache ist erschienen.

Dann wird meist in Stille weiterrezitiert – als hätte sich der Kreis geschlossen.

 

Nachklang

Wenn im Feuer der Drache erscheint,
berührt das Wasser den Himmel.

Das Sichtbare wird zum Zeichen,
das Unsichtbare zum Spiegel des Geistes.

In diesem Augenblick wird die Flamme selbst zur Sutra.

Die Goma-Zeremonie im Ekōin war mehr als ein religiöses Ritual – sie war eine Erfahrung des Wandels in seiner reinsten Form.
Ein Moment, in dem der Drache im Feuer zu tanzen schien und für einen Atemzug lang die Dualität von Feuer und Wasser, Himmel und Erde, Geist und Materie aufgehoben war.

Bild 1: Die Goma-Feuerzeremonie im Ekōin-Tempel in Kōyasan
Videos: Die Goma-Feuerzeremonie im Ekōin-Tempel in Kōyasan