Einleitung
Während meiner studentischen Assistentenzeit in der Theoretischen Elektrotechnik an der Ruhr-Universität Bochum in den 1970er-Jahren roch unser Optiklabor nach Filmentwickler, Essig und gelegentlich nach Zigarettenrauch – den wir nutzten, um die „unsichtbaren“ Laserstrahlen in unseren komplexen Aufbauten sichtbar zu machen. Zwischen schweren Optiktischen und vibrierenden Pumpen, die unseren Argonlaser mit Kühlwasser versorgten, erprobten wir die vielfältigen Möglichkeiten der Holografie.
Ihr Unterschied zur Fotografie ist fundamental: Ein Hologramm speichert nicht nur Helligkeit und Farbe, sondern das Lichtfeld selbst – also Amplitude und Phase. Bei der Rekonstruktion entsteht daraus ein dreidimensionales Abbild im Raum – ein eingefrorenes Stück Licht.
Die Idee: Dennis Gabor und das eingefrorene Wellenfeld
1947 formulierte Dennis Gabor die „Wellenfrontrekonstruktion“ – die gesamte Interferenzstruktur einer Welle soll aufgezeichnet und später optisch wieder abgespielt werden. Mangels Laser nutzte er die minimale Kohärenzlänge von Quecksilberdampflampen (grüner Spektralanteil), um erste Durchlichthologramme zu erzeugen. Sie waren unscharf und vibrationsanfällig, bewiesen aber das Prinzip. Mit der Erfindung des Lasers (1960) wurde die Methode stabil; 1971 erhielt Gabor den Nobelpreis.
Der Durchbruch mit Laserlicht
Anfang der 1960er gelang Emmett Leith und Jurijs Upatnieks der entscheidende Schritt: das Off-Axis-Hologramm. Durch einen kleinen Winkel zwischen Objekt- und Referenzwelle wurden störende Ordnungen sauber getrennt – echte 3D-Rekonstruktionen wurden möglich.
- Rubinlaser (694 nm): erster Festkörperlaser (Maiman), gepulst; historisch wichtig, thermisch heikel.
- He-Ne-Laser (632,8 nm): Dauerstrich, stabil, lange Kohärenzlänge – das Arbeitstier der klassischen Holografie.
- Argon-Ion-Laser (514 nm): hell, kühlungsintensiv, ideal für Farbe und feine Körnung.
- CO₂-Laser (10,6 µm): IR-Bereich; Material- und Wärmeinterferometrie.
- Laserdioden (650 nm): kompakt, preiswert, kohärent genug – Grundlage der modernen Digitalholografie.
Interferenz, Kohärenz – und die Linse als „optischer Rechner“
Ein Hologramm entsteht durch Überlagerung zweier Wellen: Die Objektwelle interferiert mit der Referenzwelle auf einem Aufnahmemedium. Beleuchtet man das entstandene Interferenzmuster später wieder „richtig“, erscheint ein reales oder virtuelles 3D-Abbild.
In unseren Praktika fragten wir damals am Lehrstuhl gerne: „Was ist ein optischer Rechner?“ – Antwort: eine Sammellinse. Sie führt mit Lichtgeschwindigkeit eine zweidimensionale Fourier-Transformation aus: Punktquelle → ebene Welle → Punkt. Eleganz pur.
Eigene Experimente: Weißlicht- und Regenbogenhologramme
In meiner Bochumer Zeit entstanden zahlreiche Aufnahmen: klassische Transmissionen, Weißlicht-Reflexionshologramme und Regenbogenhologramme.
Weißlicht-Reflexionshologramme: Aufnahme unter Laserlicht, Betrachtung mit Punktquelle (z. B. Halogenlampe). Das Bild schwebt im Raum – auch ohne Laser. Siehe Weißlicht-Hologramme mit Argonlaser.
Regenbogenhologramme (Benton, 1968): Reduktion der vertikalen Parallaxe durch Schlitzblende in zweiter Belichtung – brillante Weißlicht-Hologramme mit charakteristischem Farbspektrum beim Neigen. Siehe Regenbogen-Hologramme der Kunst.
Holografie und Kunst
Die Verbindung von Holografie und Kunst hat in Deutschland früh Wurzeln geschlagen. Besonders im Rheinland entstanden Ausstellungen, die das technische Medium als ästhetische Ausdrucksform nutzten – etwa im Holografie-Museum Lauk in Pulheim und später nach Auflösung des Museums als holografische Kunst im Rathaus Pulheim.
Als ich Anfang der 1980er-Jahre die Stelle des Fachredakteurs der Zeitschrift Ingenieur Digest bei den Vereinigten Fachverlagen in Mainz (später Elsevier) übernahm, schrieb ich einen umfangreichen Beitrag über Lasertechnologie. In diesem Zusammenhang erkannte ich erstmals die künstlerischen Möglichkeiten holografischer Aufnahmetechniken und besuchte das Holografie-Museum in Pulheim des Künstlers Lauk – ein Erlebnis, das mich nachhaltig faszinierte. Zwischen den lichtgeformten Objekten wurde mir bewusst, dass sich in der Holografie die Präzision der Physik und die Intuition der Kunst auf einzigartige Weise begegnen.
Speckle – das körnige Gedächtnis des Lichts
Was in der Kunst als poetisches Spiel mit Licht erschien, wurde in der Technik zu einem präzisen Messverfahren: die holografische Interferometrie. Ihre Weiterentwicklung, die Speckle-Interferometrie, nutzt das feinkörnige Streumuster, das entsteht, wenn Laserlicht an mikroskopisch kleinen Unebenheiten einer Oberfläche gestreut wird. Dabei muss die Oberfläche gar nicht sichtbar rau sein – gemessen an den Wellenlängen des Lichts im Nanometerbereich ist nahezu jede Fläche „rau genug“. Deshalb funktioniert das Verfahren auf Metall, Glas, Kunststoff oder selbst auf lackierten Flächen und wird bis heute in der zerstörungsfreien Materialprüfung eingesetzt.
Beleuchtet man also eine nahezu beliebige Oberfläche mit einem aufgeweiteten Laserstrahl, entsteht ein feines Muster aus kleinsten hellen und dunklen Punkten – das Speckle-Muster. Es beruht auf der Interferenz der an mikroskopisch kleinen Unebenheiten gestreuten Wellen.
Bewegt man den Kopf leicht, wandern die hellen und dunklen Bereiche scheinbar in entgegengesetzter Richtung – ein verblüffender Effekt, der aus der sich ändernden Phasenbeziehung zwischen Auge und Lichtfeld resultiert.
In der Speckle-Interferometrie nutzt man dies gezielt: Wird ein Objekt zweimal – vor und nach einer minimalen Deformation oder Verschiebung – aufgenommen, so ändert sich das Speckle-Muster. Überlagert man beide Aufnahmen, etwa auf einer Mattscheibe, entstehen Young’sche Streifen, deren Abstände und Ausrichtung Betrag und Richtung der Bewegung unmittelbar beschreiben. So werden selbst Verschiebungen im Bereich weniger hundert Nanometer sichtbar.
Signalangepasste optische Filter – Korrelation mit Lichtgeschwindigkeit
Nach den künstlerischen und messtechnischen Anwendungen öffnete sich ein drittes Feld: die Verarbeitung von Information im Licht selbst. In der Theoretischen Elektrotechnik suchten wir nach Wegen, mathematische Operationen wie die Korrelation direkt optisch auszuführen – schnell, parallel und ohne Elektronik. So entstanden die ersten signalangepassten Filter, die im wahrsten Sinne mit Lichtgeschwindigkeit arbeiteten.
Da klassische Optik keine komplexen Transmittanzen darstellen kann, werden solche Filter als Hologramme realisiert (Erzeugung nach Leith–Upatnieks), wodurch die Trennung von Original- und konjugiert-komplexer Welle gelingt.
In meiner Studienarbeit dienten Fingerabdrücke als Testobjekte. Durch optische Korrelation wurde in einer großen Menge unterschiedlicher Abdrücke genau der gesuchte identifiziert – sichtbar als heller Lichtpunkt, erzeugt mit Lichtgeschwindigkeit. Jahrzehnte bevor digitale Mustererkennung alltäglich wurde, leistete das Licht bereits Rechenarbeit.
Eigentlich wollte ich in meiner Diplomarbeit die ersten synthetischen Hologramme auf der Großrechenanlage der Universität Bochum erzeugen – einer Telefunken TR440. Die Idee war, Interferenzmuster nicht optisch, sondern rechnerisch zu simulieren und anschließend fotografisch zu rekonstruieren. Da wir damals unseren Code noch über Lochkarten einspeisten, wäre das ein faszinierendes, aber auch riskantes Unterfangen gewesen. Genau in dieser Zeit stand jedoch der Austausch der Anlage gegen eine Control Data Cyber an – und das Risiko, inmitten dieser Umstellung eine auf sechs Monate begrenzte Arbeit zu beginnen, erschien mir zu hoch. So blieb es bei dem zu erklimmenden Formelberg der holografischen und Speckle-Interferometrie – aber die Idee der digitalen Holografie ließ mich nie ganz los.
Ein halbes Hologramm – ganze Information
Ein prägnantes Beispiel: mein zerbrochenes Weißlichthologramm eines kleinen Spielzeughubschraubers. Die Glasplatte brach – doch jedes Bruchstück zeigte, passend beleuchtet, das dreidimensionale Abbild.
Präzisierung: Jedes Fragment enthält nicht das gesamte Objekt, sondern den vollständigen Blickwinkel von dieser Position auf das Objekt. Dadurch bleibt die räumliche Abbildung erhalten, wenn auch mit geringerer Auflösung. Diese Unterscheidung ist zentral für das Verständnis holografischer Information.
Holografie heute: vom Silberhalogenid zur Anzeige
Was einst auf Silberhalogenidplatten in dunklen Laboren entstand, wird heute auf digitalen Sensoren erfasst und mit Computern berechnet. Die Holografie hat sich von der fotografischen Technik zur numerischen Wissenschaft entwickelt. Mithilfe moderner Spatial Light Modulators (SLM) lässt sich die gesamte Wellenfront eines Objekts – Amplitude und Phase – nicht nur speichern, sondern gezielt rekonstruieren oder verändern.
Damit wird die Computer-Generated Holography (CGH) Realität: Hologramme werden nicht mehr aufgenommen, sondern berechnet. Die numerische Interferenz ersetzt das optische Labor – der Rechner erzeugt die Muster, die auf einem SLM, einer Flüssigkristall- oder MEMS-Struktur, wieder als Lichtwelle erscheinen. Diese Technologie bildet heute die Grundlage für holografische Displays, in denen sich virtuelle Objekte scheinbar frei im Raum bewegen.
Parallel dazu hat sich die Holografie als Sicherheitsmerkmal in Banknoten, Pässen und Kreditkarten etabliert. Diese farbwechselnden Reflexionshologramme basieren auf ähnlichen Prinzipien wie die klassischen Aufnahmen – nur werden sie industriell auf Nanostrukturen geprägt, millionenfach identisch und fälschungssicher.
In der Forschung eröffnet die digitale Holografie neue Wege: Sie erlaubt phasensensitive Mikroskopie, tomografische 3D-Rekonstruktionen und sogar Echtzeitbeobachtungen biologischer Prozesse, ohne das Objekt zu berühren. Und in der Quantenoptik dient sie als präzises Werkzeug zur Erzeugung und Manipulation einzelner Photonenfelder – ein Schritt hin zur kontrollierten Quanteninformation im Raum.
Die Holografie ist damit zu einer Brückentechnologie geworden: Sie verbindet die analoge Welt der Wellen und Interferenzen mit der digitalen Welt der Algorithmen und Pixel. Was früher auf vibrierenden Wabentischen entstand, geschieht heute in Rechenclustern – das Prinzip aber bleibt dasselbe: die Rekonstruktion des Lichts selbst.
Synthetische Holografie – vom Rechenzentrum zum Desktop
Während die moderne Holografie physikalische Wellenfelder digital steuert, lässt sich ihr Prinzip heute auch vollständig simulieren – ganz ohne Laser oder Fotoplatte. Was in den 1970er-Jahren auf Großrechenanlagen mit gestanzten Lochkarten geplant war, gelingt heute auf jedem handelsüblichen Rechner. Die Idee, Interferenzmuster nicht optisch, sondern numerisch zu erzeugen, bildet den Kern der Computer-Generated Holography (CGH).
Mit wenigen Zeilen Code lässt sich die Überlagerung von Objekt- und Referenzwellen berechnen und das resultierende Interferenzmuster darstellen. Solche Simulationen ermöglichen es, Hologramme experimentell zu erforschen, ohne ein Labor zu betreten – der ideale Einstieg für Studierende, Schulen oder technisch Neugierige. Nachfolgend ein einfacher Python-Code für diesen Zweck:
import numpy as np
import matplotlib.pyplot as plt
from scipy.fft import fft2, ifft2, fftshift
# Parameter
wavelength = 632.8e-9 # 632.8 nm (HeNe-Laser)
pixel_size = 10e-6 # 10 µm
z = 0.1 # Abstand in Metern
# Objekt (Gaußpunkt)
N = 1024
x = np.linspace(-N/2, N/2, N) * pixel_size
X, Y = np.meshgrid(x, x)
obj = np.exp(-((X**2 + Y**2)/(0.0001**2))) # virtuelle Punktquelle
# Fresnel-Propagation (numerische Interferenz)
k = 2 * np.pi / wavelength
H = np.exp(1j * k / (2 * z) * (X**2 + Y**2))
hologram = np.angle(ifft2(fft2(obj) * fft2(H)))
plt.imshow(hologram, cmap='gray')
plt.title("Synthetisches Hologramm (numerisch berechnet)")
plt.axis('off')
plt.show()
Das Ergebnis ist ein digitales Interferenzmuster, das ein reales Hologramm numerisch repräsentiert. Mit leichten Änderungen kann statt eines Punktes ein beliebiges Bild eingelesen werden, sodass sich eigene virtuelle Hologramme erzeugen lassen. Auf einem Spatial Light Modulator (SLM) oder einem hochauflösenden DLP-Projektor können diese Muster sogar wieder optisch rekonstruiert werden.
Damit schließt sich ein Kreis: Was einst auf der Telefunken TR440 und später auf der Control Data Cyber noch visionär war, ist heute auf einem Laptop in Sekunden möglich. Die synthetische Holografie verbindet numerische Mathematik, Optik und Kreativität – ein perfektes Feld für forschende Köpfe, ob im Labor oder am Schreibtisch.
Holografie zum Anfassen – Experimente mit Laserdioden
Damals arbeiteten wir mit wassergekühlten Argon-Ion-Lasern auf schweren Optiktischen, umgeben von Linsen, Strahlteilern und auf N₂-Stempeln gelagerten Wabentischen – ein Aufwand, der private Experimente praktisch ausschloss. Heute hat sich das Bild grundlegend gewandelt: Dank kompakter Laserdioden und empfindlicher Aufnahmematerialien lässt sich das Prinzip der Holografie bereits mit kleinem Budget nachvollziehen. Mit etwas Geduld, Dunkelheit und ruhiger Hand können selbst Schülerinnen und Schüler im Rahmen von „Jugend forscht“ oder schulischen Projekten eindrucksvolle Reflexions- oder Transmissionshologramme erzeugen – Experimente, die nicht nur Technikbegeisterung, sondern auch Staunen hervorrufen.
Empfohlene Komponenten (Einsteiger-Setup)
- Laserdiode: 650 nm (< 5 mW), Class 2/3R (Pointer-Typ).
- Fotoplatten: Silberhalogenid (z. B. PFG-03M, Ultimate 08) – ≈ 3000 lp/mm.
- Aufbau: Zweistrahl-Geometrie (Glasplatte als Strahlteiler); Objekt und Referenz treffen unter kleinem Winkel (~10–20°) auf die Platte.
- Mechanik: massiver Tisch oder Granitplatte auf Schaumgummi; Zugluft vermeiden; nachts belichten.
- Entwicklung: Chemieset (z. B. JD-4/GP-2): Entwickeln → Kurzspülen → Bleichen → Endspülen → Trocknen.
Vorgehensweise (Kurzfassung)
- Stabilisieren: Laser vorwärmen, Raum beruhigen.
- Justage: Referenz- und Objektstrahl sauber auf die Platte.
- Belichtung: 5–10 s bei ~5 mW.
- Entwicklung: nach Herstellerangaben.
- Rekonstruktion: bei Reflexionshologrammen unter Aufnahme-/Beleuchtungswinkel betrachten.
Budget: ab ca. 80–150 € ist ein erstes Setup realistisch; das Ergebnis – ein im Weißlicht sichtbares Reflexionshologramm – ist überraschend beeindruckend.
Sicherheit & Hinweise
- Laserstrahlen nie auf Augen richten.
- Vibrationen sind der Feind.
- Temperatur-/Luftschwankungen vermeiden.
- Bei > 5 mW Laserschutzbrille tragen; Chemie sorgfältig handhaben.
Und wie wir schon im Labor lernten: „In das Wasser schütt’ die Säure – sonst passiert das Ungeheure.“
Fazit: Das Gedächtnis des Lichts
Ein Hologramm ist kein Abbild der Dinge, sondern eine Spur ihrer Beziehung zum Licht. Selbst Bruchstücke tragen den vollständigen Blickwinkel in sich – so wie auch jedes Teil eines Gedankens die ganze Idee in sich birgt. Zwischen Gabors Wellenfronten, den Fourier-Linsen meiner Assistentenzeit und den heute digital berechneten SLM-Displays hat sich die Technik gewandelt, doch das Staunen ist geblieben: dass Licht uns zeigt, wie Denken Gestalt annehmen kann, wenn man ihm Raum gibt.