Zwischen Morcheln und Monarchinnen – Besuch im Yehliu Geopark

In diesem Beitrag: Zwischen Morcheln und Monarchinnen – Besuch im Yehliu Geopark

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Der Besuch des Yehliu Geoparks hatte etwas von Gullivers Reisen: Wandern zwischen riesigen Morcheln ließ uns und die anderen Besucher winzig wirken. Dass diese sonderbaren Gebilde nichts mit Pilzen gemein haben, konnte das Gefühl, in einer Märchenlandschaft gelandet zu sein, nicht mindern. Die Namen, die man den Felsen gegeben hat – von der „Prinzessin“ über den „Jaguar“ bis hin zur legendären „Queen’s Head“ – tragen das Ihre zu dieser Stimmung bei.

Wäre da nicht die unendliche Flut an Selfiesticks, man könnte glauben, hier träume die Erde selbst – in Stein gegossen. Lange Schlangen bildeten sich vor den berühmteren Formationen, jede*r wollte einmal allein mit der "Königin" posieren, deren schmaler Hals Jahr für Jahr ein wenig dünner wird.

Doch trotz des Trubels zählt dieser Ort zu den außergewöhnlichsten Landschaften, die wir bisher besucht haben.

Das Wunder der Formen

Geologisch betrachtet liegt Yehliu auf einem rund 1,7 Kilometer langen Felsrücken, der als Fortsetzung der Daliao-Formation ins Meer hinausragt. Über Millionen Jahre haben Wind, Wellen und tektonische Kräfte die sandsteinreichen Schichten modelliert – weiches Gestein wurde fortgespült, härtere Lagen blieben als Säulen und Kappen zurück. So entstanden die typischen „Pilzfelsen“, aber auch filigrane „Kerzenfelsen“ und knollige „Ginger Rocks“. Es ist ein Labor der Erosion, offen und lehrreich zugleich.

Der Hügel über dem Meer

Nach dem Rundgang lockte uns der angrenzende bewaldete Hügel, der über gut markierte Wege bis zum Gipfel hinaufführt. Der Anstieg fordert etwas Kondition, wird aber mit einer eindrucksvollen Aussicht belohnt: über die zerfurchte Küstenplattform, die Brandung – und auf etwas, das man hier nicht erwarten würde.

Das Wrack der Yu Zhou Qi Hang

Vor der Küste lag – fast surreal ruhig – das Wrack eines Frachtschiffes, das hier im Herbst 2024 gestrandet war. Die „Yu Zhou Qi Hang“ (鈺洲啟航, IMO 9643776) verlor während des herannahenden Taifuns Kong-rey die Maschine und lief am 31. Oktober 2024 auf den Felsen vor Yehliu auf Grund. Öl und Treibstoff wurden später abgepumpt, doch als wir im April 2025 dort waren, lag der Rumpf noch immer schräg vor der Küste – ein rostfarbenes Mahnmal für die Kräfte, die hier unablässig wirken.

Stille Beobachter

Der Hügel ist übrigens auch bei Ornithologen beliebt: Reiher, Sturmtaucher und Seeadler nutzen die Aufwinde an der Küste, und wer Geduld mitbringt, wird mit eindrucksvollen Beobachtungen belohnt.

Am Ende steht man oben, der Wind trägt den Salzgeruch herauf, und man blickt auf eine Landschaft, die zugleich erhaben, bizarr und verletzlich wirkt. Vielleicht ist das das eigentliche Wunder von Yehliu: dass man hier spürt, wie lebendig selbst Stein sein kann.

Zwischen Räucherwerk und Fischerhafen – der Bao’an-Tempel von Yehliu

Wer vom Geopark hinunter zum Hafen spaziert, gelangt fast zwangsläufig zum Bao’an-Tempel (保安宮) – einem farbenprächtigen Kleinod der taiwanischen Volksreligion. Schon vor dem Eingang empfängt einen der Duft von Räucherwerk, und durch das vergoldete Portal blickt man direkt auf den Hafen, auf die Masten der Boote und die dahinter aufragenden grünen Hügel.

Der Tempel ist den Schutzgöttern der Seefahrer geweiht, allen voran dem legendären Kai Zhang Sheng Wang, einem Fürsten aus der Tang-Zeit, der in Taiwan als Patron der Fischer und Küstengemeinden verehrt wird. Seine Statue thront im Hauptschrein, flankiert von reich ornamentierten Drachen und Löwen. Das Innere gleicht einem Mikrokosmos taiwanischer Handwerkskunst: filigrane Holzschnitzereien, bemalte Balken und goldene Schriftzeichen, die im Kerzenlicht schimmern.

Der Bao’an-Tempel ist nicht nur ein Ort des Gebets, sondern auch das rituelle Herz von Yehliu. Jedes Frühjahr findet hier das Hafenreinigungsfest (淨港祭) statt – ein über hundert Jahre altes Ritual, bei dem die Gottheiten symbolisch ins Meer getragen werden, um das Wasser, den Hafen und die Gemeinschaft zu segnen. Fischer schmücken ihre Boote, tragen Fahnen und Palankine, begleitet von Trommeln, Feuerwerk und Gebeten. Für die Einheimischen ist dies ein Moment der Erneuerung – für Besucher ein seltenes Schauspiel lebendiger Tradition.

Der Tempel verbindet das Profane mit dem Spirituellen: Draußen klappern die Netze, drinnen erklingen die Gebete. Durch die offenen Türen sieht man das Meer, das zugleich Lebensgrundlage und Bedrohung ist. In dieser Spannung, zwischen Wind, Wellen und Weihrauch, liegt vielleicht die eigentliche Bedeutung dieses Ortes – als Schutzraum in einer Landschaft, die von der Kraft der Elemente geformt ist.

Bild 1: Der Hügel des Yehliu Geoparks
Bild 2: Wanderpfad über die Felsküste des Yehliu Geoparks mit Blick auf das Meer
Bild 3: Pilzförmige Erosionsfelsen – typische Formationen des Yehliu Geoparks
Bild 4: Die Felsküste des Yehliu Geoparks mit Blick auf das Meer
Bild 5: Die Prinzessin
Bild 6: „Die berühmte Felsformation ‚Queen’s Head‘ im Yehliu Geopark – Symbol der taiwanischen Nordküste“
Bild 7: Der Jaguar
Bild 8: Das Wrack des Frachters Yu Zhou Qi Hang vor der Küste des Yehliu Geoparks – gestrandet nach Taifun Kong-rey 2024
Bild 9: Der Hafen von Yehliu
Bild 10: Der Bao’an-Tempel in Yehliu am Hafen